Nach der etwa anderthalbstündigen Anfahrt von Lao Cai aus wuchs die Spannung, was für eine Unterkunft wir denn nun erwarten konnten. Zumal uns bereits während der Fahrt und vor allem bei unserem Fußmarsch zum Hmong House deutlich wurde, wie arm hier viele Menschen sind. Der Name der Unterkunft war für uns sozusagen Programm: Wir wollten bei unserem Trekking-Vorhaben möglichst viel Kontakt zu diesen Menschen bekommen, die zu den im Norden Vietnams lebenden ethnischenMinderheiten gehören. Und das Hmong House ist ein Familienbetrieb, bei dem man auch die Mahlzeiten gemeinsam einnimmt.
Die Unterkunft bietet sowohl Doppelzimmer als auch kleine freistehende Ein-Raum-Bungalows mit eigenem Bad und Balkon an. Wir hatten uns für Letzteres entschieden.
Das Hmong House liegt mitten in der Natur, mit Blick auf die Reisterrassen und einen Fluss. Herrlich!
Hier das Haupthaus von außen:
Und so sieht das Haupthaus von innen aus:
EssenRezeption und KücheKücheRechts geht’s in ein Gästezimmer Die Schuhe bleiben draußen!Weiterer Esstisch
Unser Bungalow im Grünen 😊:
Blick vom Balkon
Also, ein sehr schönes Ambiente für die drei Tage.
HerzundSeele des Hmong House ist unsere GastgeberinSue, die mit einem offenen Wesen und großem Kommunikationstalent ausgestattet ist, Mitte/Ende 30. Als wir ihr eine Anfrage unseres vietnamesischen Kommunikationsanbieters hinhalten und sie um eine Übersetzung bitten, sagt sie uns mit einem goldenen Lächeln, dass sie uns leider nicht helfen könne. Weil sie noch nie in ihrem Leben eine Schule von innen gesehen habe und deshalb auch nicht lesen oder schreiben könne. Und trotzdem schmeißt sie den Laden! Schreibt ihren Gästen Mails und organisiert die Buchungen über Buchungsplattformen wie Booking.com (dazu nutzt sie sprachgeführte Übersetzungsprogramme). Englisch hat sie nur übers Hören und praktisches Üben gelernt. Sie hat mit 14 geheiratet und mit 16 ihr erstes, mit 16 ihr zweites Kind bekommen. Ihre Kinder sind die Woche über bei ihren Eltern.
Diverse Familienmitglieder teilen sich die Aufgaben im Homestay: Ein Bruder fährt Taxi, eine Tante macht als Guide Trekkingtouren durch die Reisfelder, einige Cousinen kochen und putzen usw.
Was auffällt: DieFrauen sind bienenfleißig und fortwährend am Arbeiten, während die Männer meistens herumsitzen und mit ihren Handys beschäftigt sind. Ansonsten machen sie wohl hauptsächlich die körperlich schwere Arbeit auf den Reisfeldern. Aber man wird das Gefühl nicht los, dass sie eher einen Wasserbüffel übers Reisfeld tragen als einen Besen in die Hand nehmen würden.
Hier bei den Mhongs erben übrigens immer nur die Männer.
Die Anreise in die nördlichen Bergregionen von Vietnam stellt sich inzwischen als unkompliziert dar. Das war vor wenigen Jahrzehnten noch ganz anders. Mittlerweile sind die Straßenverbindungen – für hiesige Verhältnisse – gut, die für den Zug ebenso. Auch bekennt sich die Regierung bekennt nun zur Förderung des Tourismus hier und investiert in die Infrastruktur. Das war nicht immer so, denn das Verhältnis zwischen den auf Autonomie bedachten Bergvölkern des Nordens und der Zentralregierung war über lange Zeit von gegenseitigem Misstrauen geprägt. Wer die Straße favorisiert, reist in aller Regel mit einem sogenannten „Sleeper Bus“ an, häufig über Nacht (in ca. sieben Stunden von Hanoi nach Sa Pa). Wie haben uns für die wohl bessere (bequemere, aber teurere) Zug-Variante entschieden, bei der man den Endbahnhof Lao Cai anfährt. Auch auf der Schiene geht’s richtig günstig, in der Holzklasse (nur für Leidensfähige mit guter Wirbelsäule), und auch etwa luxuriös, zum Beispiel mit dem Laman Express, der unter anderem Schlafwagen mit vier Betten anbietet. Das ist kein eigener Zug, sondern sozusagen ein Anhängsel an den normalen Zug. Da darf man Hoffnung auf ein paar Stunden Schlaf haben, abgesichert durch Ohrstöpsel. Da wir dann gleich eine Trekkingtour angehen wollten, war das für uns die beste Option. Wir teilten unser Abteil mit einem jungen Paar aus den Niederlanden und kamen unmittelbar ins Gespräch. Nach zwei Stunden Bier-Schwätzchen hielten wir es dann doch für angebracht, mal ans Schlafen zu denken. Und das gelang schließlich ganz gut. Plangemäß erreichten wir Lao Cai nach siebenstündiger Fahrt gegen sechs Uhr morgens.
Beim Laman Express checkt man in Hanoi in einem Hotel neben dem Bahnhof ein und wird dann persönlich zum Zug begleitet. Auch ein kleiner Imbiss und Getränke stehen zur Verfügung.
Sobald man den Zug in Lao Cai verlässt, kommen schon die ersten „Akquisiteure“ auf einen zu, die Unterkünfte und Fahrten in die nähere Umgebung anbieten, vor allem nach Sa Pa und andere Trekkinggebiete. Mit dem Taxi, Pkw, Kleinbus … Da ist ohne Frühstück im Bauch ein gewisses Verhandlungsgeschick angesagt und Schnelligkeit im Rechnen mit den vietnamesischen Dong, denn in hierzulande gibt es nichts ohne Handeln. Wer beim ersten Angebot einsteigt, hat verloren. Wir hatten vorgesorgt und über unsere Unterkunft eine Abholung organisiert. Das klappte tadellos. Unser Fahrer stand mit einem Namensschild am Ausgang, nahm uns das Gepäck ab und los ging die Fahrt über etwa vierzig Kilometer Gebirgsstraße. Unsere erste „Fahr-Stunde“ in Vietnam, die es mit Überholmanövern bei Gegenverkehr und in der Kurve in sich hatte. Da könnten selbst die Italiener sich in puncto Wagemut noch eine Scheibe abschneiden.
Am Zielort angekommen staunten wir nicht schlecht, als unser Fahrer uns bedeutete, dass hier nun die Autofahrt beendet sei und unser Gepäck auf ein Moped verladen werden müsse. Wir machten uns dann mit unserem Handgepäck zu Fuß auf den letzten Wegabschnitt, etwa 800 Meter einen schmalen Pfad hoch, vorbei an sehr ärmlichen Behausungen. Tja, so ist das, wenn man eine Unterkunft mitten in den Reisterrassen bucht ;-).
Das letzte Stück zu Fuß.
Solche Fußmärsche laufen üblicherweise nicht ohne Begleiterinnen ab, denn es gesellen sich dann schnell Frauen und Kinder dazu, die kleine Taschen, Armbänder und andere Mitbringsel verkaufen wollen, alles „handgemacht“ natürlich.
Die Frauen gehen einfach ein Stück mit, versuchen in rudimentären Englisch ein Gespräch, um schließlich mit hohem emotionalen Druck ihre Waren anzubieten.
Dann kamen wir zu unserer Unterkunft, dem Hmong House Sapa, an – und der erste gute Eindruck sollte sich bestätigen.
Sa Pa (Sapa) ist etwa 310 Kilometer nordöstlich von Hanoi entfernt. In den letzten drei Jahrzehnten hat die Bergstadt eine rasanteEntwicklung durchlaufen – von einer Ansiedlung im Nirgendwo im chinesischen Grenzgebiet zur Drehscheibe für Naturtourismus in Nordvietnam. Sa Pa bietet Unterkünfte, Gastronomie, Shopping, touristische Agenturleistungen und Transportangebote für jeden Geldbeutel an. Die meisten Touristen wollen hier Outdooraktivitäten nachgehen, und das Trekking steht dabei ganz oben auf der Wunschliste. Viele beziehen also hier ein Quartier und suchen sich aus dem reichlichen Aktivitätenangebot das Passende aus, je nach Neigung, Zeit und persönlicher Fitness.
Wenn man nicht über Nacht bleibt, lohnt Sa Pa durchaus einen halbtägigenBesuch, zum Shoppen (Funktionskleidung!), Essen und Relaxen. Beim Schlendern um den zentralen See und durch die Straßen gewinnt man den Eindruck, dass jeder dritte Laden Massagen für geschundene Trekkerrücken und -beine anbietet. Dafür muss es offensichtlich einen Bedarf geben 😉.
Man muss sich bei der Stadterkundung darauf einstellen, fortwährend von Schnickschnack verkaufenden Frauen von ethnischen Minderheiten (hauptsächlich Schwarze Mong und Rote Dao) und Taxifahrern angesprochen zu werden.
Sa Pa hat an zentraler Stelle eine überdachteMarkthalle, die von Souvenirs über Lebensmittel aller Art und Spielzeug und Kleidung so ziemlich alles abdeckt, was der Mensch braucht und womit er sich vergnügt.
Essen kann man in der Markthalle natürlich auch.
Eine besondere Attraktion in Sa Pa ist die Seilbahn auf den FranSiPan, der mit 3.146 Metern der höchste Berg Vietnams ist. Die Gipfelfahrt soll bei gutem Wetter wegen der Aussicht sehr schön sein. Allerdings raten inzwischen die meisten europäischen Besucher in den Medien von einem Besuch ab, da der Gipfel sich inzwischen in privatunternehmerischer Initiative in eine Art Disney-Funpark entwickelt haben soll. Manche meinen, der Berg habe „seine Seele verloren“ (so der aktuelle Stefan-Loose-Reiseführer). Die Bodenstation ist auf jeden Fall sehenswert, da sie sich in einem mondänen Hotelgebäude befindet, das 1920-30 von den Franzosen gebaut wurde.
Im September 2023 war ich mit ein paar Freunden für eine Woche auf der Zadar vorgelagerten Insel Ugljan, von wo aus wir verschiedene Ausflüge unternahmen. Einer führte uns ans Novigradskomore, das NovigraderMeer. Obwohl wir uns in Kroatien gut auskennen, war uns diese Gegend bislang unbekannt. Schon wieder ein Stück Kroatien, das sich als Abenteuer- und Wunderland erweisen sollte …
Das Novigrader Meer ist eine Bucht der oberen Adria, die etwa 25 Kilometer nordöstlich von Zadar tief in das nördliche Dalmatien einschneidet. Nur durch die schmale Meerenge von Maslenica besteht eine Verbindung zur Adria.
Wer mit dem Auto unterwegs ist, muss zwangsläufig eine der beiden Brücken überfahren. Eine besondere Berühmtheit hat die Maslenica-Brücke erlangt, da sie sich an der Adria-Magistrale (nahe dem Autobahntunnel Sveti Rok) befindet und als strategisches Nadelöhr gilt. Aus diesem Grund war sie im Kroatienkrieg auch heftig umkämpft und wurde zerstört. Die imposante rote Stahlbogenkonstruktion mit einer Gesamtlänge von 315 Metern und einer lichten Höhe von 55 Metern wurde 2004/5 in Rekordzeit wieder errichtet. Man sollte auf jeden Fall einen Stopp einlegen und sich die Brücke anschauen. Mit etwas Glück kann man sogar dabei sein, wenn sich ein Waghalsiger am Bungee-Band in die Tiefe stürzt.
Wer jedoch die spektakuläre Landschaft in der weiteren Umgebung aus der Nähe erleben möchte, sollte wie wir ein Boot chartern und gemächlich den Zrmanje hinauffahren.
Dieser smaragdgrüne Karstfluss hat im Laufe der Jahrtausende eine einzigartige Landschaft in den Fels geschnitten. Ein solches Naturschauspiel dürfte in Europa kaum seinesgleichen finden. Die Felsen fallen teils fast senkrecht ins Wasser, an einzelnen Stellen sammelt sich moränengleich Gestein und Geröll. Es verwundert kaum, dass die Winnetou-Macher dieses Szenario für die Dreharbeiten von verschiedenen Handlungssequenzen und Szenen genutzt haben.
Auch mit dem Kayak oder einem SUP ist die Zrmanje-Schlucht in geführten Touren gut zu erkunden. Kleinere Orte am Flusslauf sind auf Gäste eingestellt.
Der Gargano, eine Art Halbinsel, deren Fläche vor allem aus einem Vorgebirge besteht (Promontorio del Gargano), hat sowohl zerklüftete Felsküsten als auch ausgedehnte Sandstrände. An heißen Tagen verspricht das Hinterland mit seinen tiefen Wäldern Kühlung. Als Ausgangspunkt für unsere Erkundungstouren haben wir Peschici ausgesucht.
Der Campingplatz liegt nur ein paar hundert Meter vom Strand entfernt, unser Stellplatz ist umsäumt von hohen, alten Olivenbäumen – gut so, denn das Thermometer bewegt sich oberhalb der 30-Grad-Marke. Diese Temperaturen und die Anfahrt über den Berg haben die Auflaufbremse unseres Wohnwagens derart in Wallung gebracht, dass die Schutzkappen der Radmuttern einfach weggeschmolzen sind. Dergleichen haben wir bislang noch nicht erlebt. Hoffen wir mal, dass die relativ neuen Bremsbeläge keinen Schaden genommen haben.
Das passiert, wenn man einen heißen Reifen fährt!
Peschici, 4.000 Einwohner, ist ein klassischerBadeort. Schöne Lage, direkt an den Berg geklebt. Die Sandstrände sind fest in der Hand der Lidos, die „ihren“ parzellierten Strand mit Schirmen und Liegestühlen bestücken. Da kann dann schon mal ein Tagespreis von hundert Euro für eine Familie zusammenkommen. Der öffentliche Strandabschnitt ist, wie andernorts auch, recht klein und wirkt im Vergleich zu den Strandsektoren eher etwas ungepflegt; war aber dort OK, wo wir uns aufgehalten haben. Beim ersten Strandspaziergang bekamen wir die volle Dröhnung des italienischenStrandlebens: alles dicht an dicht, laute Partymusik, Animation, Yoga-Gymnastik unter Anleitung, fliegende Händler, die von der Badehose über Strandkleider bis zur Kokosnuss alles anbieten. Wir stehen staunend davor und wissen nicht so recht, was wir aus dem Spektakel machen sollen. Auf jeden Fall scheint es den Italienern zu gefallen, und darauf kommt es schließlich an. Über Mittag nimmt der Geräuschpegel erheblich ab, Siesta eben. Hier ein paar Impressionen.
Je voller desto doller.Strandladen mit zwei Beinen.Wassergymnastik ist meist weiblich.
Der abendliche Bummel durch die Altstadt hat bei uns einen durchaus angenehmen Eindruck hinterlassen. Nicht nur deshalb, weil wir ausgezeichnet gegessen haben 😉.
Ein ganz anderes Kaliber freilich ist Vieste. Die 14.000-Einwohner-Stadt gilt als Tourismuszentrum des Gargano. Ihr Wahrzeichen ist ein etwa 20 Meter hoher, blendend weißer Monolith, im Süden der Altstadt, direkt am Strand. Er heißt, ganz unbescheiden, Pizzomunno, also „Spitze der Welt“. Manchmal ist die Welt eben doch klein und überschaubar …
In Vieste kann man gut mal einen Tag verbringen. Insbesondere die Altstadt lädt zum Bummeln und Entdecken ein. Viele kleine Gassen und historische Gebäude, u.a. die Cattedrale Santa Maria Oreta aus dem 11. Jahrhundert (mehrfach umgebaut) und die mächtige Festung, um 1240 unter Friedrich II. errichtet, die heute vom Militär genutzt wird. Besonders beeindruckend fanden wir einen Spaziergang entlang der meerseitigen Stadtmauer. Der Blick von da oben ist faszinierend, und macht – bei über 39 Grad – mit einem kühlen Getränk in der Hand besonders viel Freude.
Ganz aus der Nähe betrachten konnten wir in Vieste auch eine besondere Fischfangtechnik namens Trabucco. Dabei steht der Fischer mit beiden Beinen auf festem Boden und kann dennoch mehrere Netze auswerfen. Wir hatten davon noch nie gehört. Wie das funktionieren soll? So:
Derartige Konstruktionen findet man an vielen Stellen an der adriatischen Küste von Italien. Wir haben zum Beispiel weitere gesichtet auf der Höhe von Ravenna, etwa 500 Kilometer nördlich von Vieste. Heutzutage werden die Trabucci nicht selten von Fischrestaurants genutzt.
Sehr gelungen fanden wir auch eine Skulptur von Lorenzo Quinn, die sechs Händepaare darstellt (Hilfe, Hoffnung, Freundschaft, Glaube, Weisheit, Liebe); 6 Meter hoch, 5 Meter breit.
Uns geht’s wie vielen anderen Touristen auch: Wir setzen zunächst auf die Top-Sehenswürdigkeiten, insbesondere wenn wir ein Land zum ersten Mal intensiv bereisen. Was steht in den Reiseführern? Was haben wir in Dokumentationen gesehen? Welche Tipps haben wir im Netz gefunden? Was sagen Freunde, die schon mal dort waren? Der Nachteil bei einem solchen Vorgehen ist natürlich, dass man dann stets auf das Außergewöhnliche oder Spektakuläre setzt und die schönen Blümchen am Wegrand gar nicht wahrnimmt.
Uns ist es mit Monopol, einem Küstenort etwa 40 Kilometer südlich von Bari/Apulien so ergangen. Dort waren wir (etwas außerhalb des 50.000-Einwohner-Städtchens) fünf Nächte auf einem schönen Campingplatz mit Strandanbindung (Santostefano). Von hier aus haben wir die Umgebung erkundet. Und am letzten Abend sind wir mit dem Rad nach Monopoli gefahren. Ein lauer Sommerabend, ein bisschen herumschlendern, vielleicht etwas trinken …
Tja, und da haben wir uns die Augen gerieben. Wie schön, diese Strandpromenade, alles ganz entspannt, viele Menschen an den kleinen Sandstränden. Lang gezogene Kaimauer mit Zugang zum Wasser. Beeindruckende Festungsanlage, direkt am kleinen Hafen. Interessante Altstadt mit historischen Bauwerken, alles recht gut erhalten. Viele kleine Läden, Restaurants, Bars … Trubelige, offene Plätze, verschlungene Gässchen. Alles wirkte gepflegt und einladend.
Da sind wir dann doch ein bisschen länger geblieben und haben uns noch einen Absacker gegönnt …
Wenn man zum Beispiel von Bari oder Monopoli aus ins Valle d’Itria fährt, stößt man unweigerlich auf kleine Rundhäuser, zum Teil freistehend, manchmal integriert in größere Wohnkomplexe. Hier einige Beispiele von unserer Fahrt über Land:
Sie werden als Trulli bezeichnet. Von diesen runden bzw. konisch zulaufenden, weiß getünchten Bauten, die von kegelförmigen Dächern aus Bruchstein gekrönt werden, gibt es in dieser Gegend etwa 5.000 Exemplare.
Wer gerne mal für einen halben Tag in die Zauberwelt der putzig anmutenden Behausungen eintauchen möchte, begibt sich am besten nach Alberobello. Der etwa 12.000 Einwohner zählende Ort ist so eine Art Trulli-Epizentrum und daher ein sehr beliebtes Ziel von italienischen wie auch ausländischen Touristen in Apulien.
Die Trulli von Alberobello teilen sich im Wesentlichen auf zwei Viertel auf, die einander gegenüber liegen. Der Stadtteil Monti (ca. 1.000 Trulli) auf der einen Seite des Hangs ist stark geprägt von Läden und Gastronomiebetrieben. Wohltuend dabei ist, dass das Kaufangebot sich überwiegend auf handwerklich erstellte Waren bezieht (deswegen konnten wir auch bei gewebten Tischläufern und Trockentüchern nicht widerstehen). Es ist durchaus vergnüglich, mit Muße durch die Trulli-Gassen zu schlendern und hier und da zu verweilen. Aber: Hier kann auch mal drangvolle Enge entstehen, denn Monti erfreut sich großer Beliebtheit. Vor diesem Hintergrund empfiehlt es sich deshalb, vor zehn Uhr morgens einen der ausgewiesenen Parkplätze anzusteuern. Wir fanden an diesem Sonntag Mitte Juni übers Netz einen Parkplatz in einem Olivenhain, nur ein paar Schritte vom Zentrum entfernt, das Ganze für sechs Euro den Tag. Nicht schlecht … Da fühlte sich der erste Cappuccino mit Hörnchen zum Auftakt der Erkundungstour gleich mitfinanziert an. Wer übrigens mal eine Pause einlegen möchte, ohne sich in einem Restaurant oder Café niederzulassen, ist gut in einem Park nahe der Kirche Sant‘Antonio (auch sie in Trulli-Baustil) aufgehoben. Hier gibt es sogar Bänke mit Tisch, und ein Lebensmittelladen, der leckere Panini auf die Faust anbietet, ist gleich nebenan.
Viele Dächer sind oben mit einem Schlussstein versehen, manche sind mit religiösen, magischen Symbolen oder dergleichen bemalt.
Die Symbole sollen den bösen Blick abwenden, die Fruchtbarkeit erhalten … oder dienten der Wiedererkennung
Der zweite Stadtteil, den man sich unbedingt anschauen sollte, ist Aia Piccola (etwa 400 Trulli). Hier geht es bedeutend weniger geschäftig zu. Da Verkaufsläden und auch Bewirtungsangebote fast komplett fehlen, bewegt man sich mit viel mehr Muße durch die engen Gassen. Die Häuschen sind allesamt hübsch herausgeputzt und frisch gestrichen, so dass man zeitweilig vergisst, dass das ja früher Behausungen für arme Leute waren. Wenn man sich ein Trullo von innen anschaut, wird einem schnell wieder bewusst, dass sich hier vormals durchaus mal zehn Menschen in einem einzigen rechteckigen Raum mit kleinen Nischen zum Schlafen, Kochen und Waschen aufgehalten haben. Kleine Kinder schliefen im oberen Bereich auf einem Holzboden, der über eine Leiter zu erreichen war. Selbstverständlich musste auch der Esel noch ein Plätzchen finden. Glücklicherweise war in jenen Zeiten das Wort „Privatsphäre“ noch nicht erfunden … Den Aufbau eines typischen Trullo verdeutlicht dieses Modell:
Aia Piccola hat aus unserer Sicht bedeutend mehr Charme und wirkt „ursprünglicher“ als Monti. Natürlich soll man sich nicht darüber hinwegtäuschen, dass die Menschen hüben wie drüben Geld verdienen müssen. Im Viertel Monti liegt der kommerzielle Schwerpunkt in unserer Wahrnehmung in der Kurzzeitvermietung.
Da kann man schon ins Träumen kommen. Wer würde nicht gerne ein paar Nächte in einem dieser schmucken Häuser verbringen und vielleicht mal die besondere Atmosphäre in einem Trulli-Viertel bei Nacht erleben?
Ein anderesErwerbsmodell praktiziert eine Familie, die ihr Haus für Besucher öffnet. Der Hausherr spricht sogar Deutsch, weil er in den 1960er-Jahren einmal bei Opel in Rüsselsheim gearbeitet hat. Mit großem Stolz präsentieren er und seine Frau nicht nur das Trulli-Innenleben, sondern auch die Fotogalerie mit bekannten Gesichtern aus der italienischen Glitzerwelt. Gegen eine Spende, versteht sich 😉.
Die Bambini schlafen oben …Die Galerie der Schönen und Reichen, die diesen Trulli bereits besucht haben. Mit von der Partie ist der italienische Nationalspieler Marco Materazzi, der die französische Fußballlegende Zinédine Zidane 2006 in der Verlängerung des WM-Finales derart provozierte, dass dieser ihn mit einem Kopfstoß niederstreckte – die Italiener gewannen das Spiel.
Zu einer dauerhaft erfolgreichen Touristenattraktion gehört selbstverständlich eine gute Story. Bei den Trulli ist es die nicht vollends geklärte Entstehungsgeschichte. So soll der Bau von Trulli im 15. Jahrhundert im Itria-Tal dadurch einen besonderen Schub erfahren haben, dass man sie schneller ab- als aufbauen konnte. Kündigten sich die Steuereintreiber der Obrigkeit an, rissen die Menschen kurzerhand ihre Häuschen ein und die Steuereintreiber mussten mit leerer Steuerschatulle von dannen ziehen. Erst als Ferdinand IV. von Neapel Alberobello zur königlichen Stadt ernannte, gaben die Bewohner diese Bauweise auf und fingen an, Mörtel zu verwenden. Ganz schön schlau, oder?
„Ja, machen wir, bestimmt, wir kommen bei euch vorbei!“ Das hatten wir schon öfter gesagt. Da wir fast jedes Jahr einmal in Kroatien sind, wollten wir schon immer mal unsere Freunde besuchen, die von dort stammen. Und bisher hatte es nicht geklappt, weil deren Heimatort nicht gerade auf dem Weg liegt, wenn wir nach Kroatien fahren (und wir möglichst schnell an die wunderschöne Küste wollen). Denn unsere Freunde, Jelena und Nicola, kommen aus Slawonien.
Nein, ein Schreibfehler ist das keineswegs. Die Region ist eben nicht so bekannt wie „Istrien“ oder „Dalmatien“. Slawonien hat keine Küste, es liegt im Hinterland, genauer: im Osten von Kroatien, angrenzend an Ungarn, Bosnien und Serbien. Slawonien gilt als Kornkammer Kroatiens und ist überwiegend flach (sieht man einmal von einem Mittelgebirge im Westen und in der Mitte ab). Wo es viele (offene) Grenzen gibt, mischt sich die Bevölkerung stark. Das gilt auch für Slawonien.
Einige Gebiete Slawoniens (vor allem der Osten und der Westen) waren im Kroatien–Krieg Anfang der Neunzigerjahre hart umkämpft. Sie wurden im Rahmen der UNTAS-Mission (United Nations Transitional Administration for Eastern Slavonia, Baranya and Western Sirmium) final Kroatien zugeschlagen.
Damals sind Jelena und Nicola als Serben geflohen und fanden in Deutschland Wohnung und Arbeit und, mit den Jahren, ein neues Zuhause. Ihr Sohn Dragan wurde in Deutschland geboren. Die beiden waren Ende dreißig, als sie ihre Heimat verließen, und sie sprachen kein Wort Deutsch. Und ihre Herzen waren schwer, schließlich hatten sie Familie und Freunde zurückgelassen und wussten nicht, was sie in Deutschland erwartete. Sie nutzen ihre Chancen und arbeiteten hart. Sie schafften den kompletten Neuanfang. Heute geht es ihnen gut, und inzwischen können sie als Rentner die Früchte ihrer Arbeit genießen.
Es zieht sie nach wie vor in ihre alte Heimat, dorthin, wo Nicola geboren und aufgewachsen ist. Vielleicht mit zunehmendem Alter noch stärker. Es ist ein kleiner Flecken namens Laze Ćosine, in der Nähe von Požega. Dorthin, oben auf einer Anhöhe, würde es kaum mal einen Touristen verschlagen. Hier haben die wenigen Familien, die hier leben, keinen Wasseranschluss, sie holen ihr Trinkwasser aus dem Brunnen. Elektrischer Strom ist noch vergleichsweise neu. Als Brennmaterial nutzen die Menschen Holz. Man erreicht Laze über eine Schotterpiste.
Wenn man sie denn findet. Eva und ich sind schon viele Tausende Kilometer mit dem Wohnwagengespann durch Europa gefahren. Und wir haben schon diverse vertrackte Orientierungsprobleme gelöst. Mit zwei Navigationssystemen, Experimentierfreude, manchmal auch Wagemut. Aber bei Laze Ćosine mussten wir passen. Um ein Haar hätten wir ein Reh überfahren. Wir fuhren uns im Wald fest und mussten irgendwie zurück. Und wir bewegten uns mehrfach im Kreis. Schließlich half nur noch ein Anruf bei Nicola, der uns dann abholte und ans Ziel brachte, indem er vor uns herfuhr …
Hier ging’s für uns mit dem Wohnwagen nicht weiter – was jetzt??Also wenden. Aber wie?Rückwärts in eine kleine Waldlichtung, da kommt Freude auf.
Nachdem wir den Wohnwagen endlich auf dem Hof abgestellt hatten, gab es ein leckeres Essen: Gemüse, Kartoffeln und mehrere Sorten Fleisch, in einem gusseisernen Behältnis (genannt Peka oder Ispod Peke) über dem offenen Feuer gegart, dazu ein kühles Bier. Und das bei sommerlichen Temperaturen. Herrlich!
„Nicola ist in Laze ein anderer Mensch“, sagt Jelena manchmal. Wenn dieser mit einem Liedchen auf den Lippen am frühen Morgen mit seinem Traktor in den Wald fährt. Oder die Obstbäume schneidet. Oder im Gästehaus eine Dusche einbaut …
Nicola hält seinen Traktor immer in Schuss.
Denn es gibt in Nicolas Elternhaus und den angrenzenden Nutzbauten unendlich viel zu tun. Mehr als ein einzelner Mensch schaffen könnte, selbst wenn er noch so fleißig ist. Nicola und Jelena hegen und pflegen das alles, weil dies gleichzeitig ein Herkunfts- und ein Sehnsuchtsort ist. Hier sind Nicolas Wurzeln (Jelena stammt aus einem Nachbarort).
Haus mit Nutzgebäuden
Die beiden kennen jeden in Laze. Sitzt man draußen und tuckert jemand mit dem Trecker vorbei, hält dieser gleich an und gesellt sich dazu. Pivo? Oder vielleicht ein Gläschen vom Selbstgebrannten? Und sitzt erstmal einer, kommt gleich der nächste dazu. Das ist hier selbstverständlich. So entsteht manchmal eine stattliche Runde. Die sich dann auch wieder auflöst, weil man ja noch zu tun hat. Man braucht keine Einladung, keine Terminabsprache. Man kommt einfach vorbei. Auf einen Schnaps, einen Kaffee oder ein Stück selbstgebackenen Strudel.
Laze Ćosine ist Teil einer ländlichen Idylle und in diese eingebettet. Ein lauer Sommerabend, ein Sonnenuntergang, der Duft von ursprünglicher Landwirtschaft …
Aber diese Bilder sollten nicht darüber hinwegtäuschen, wie hart es für den Einzelnen sein kann, unter diesen Bedingungen seinen Lebensunterhalt bestreiten zu müssen. Ganz zu schweigen von den vielen Narben, die der Krieg Anfang der 1990er-Jahre in den Herzen und Köpfen der Menschen hinterlassen hat. Wir haben mit Jelena und Nicola einige Ausflüge unternommen, bei denen wir viele Spuren der Kämpfe gesehen haben: zerstörte Häuser, Fassaden mit Einschusslöchern, unzählige verlassene Häuser, Geisterdörfer … Krieg und Vertreibung sind nach dem Ende des Zweiten Weltkriegs nicht erst mit Putins Einmarsch in die Ukraine nach Europa zurückgekehrt; sie waren vor dreißig Jahren auch schon wieder da.
Für uns war dieser Besuch vor allem wichtig, weil wir mehr über den Hintergrund unserer Freunde Jelena und Nicola erfahren wollten. Wir kennen sie als ausgesprochen großzügige, hilfsbereite und zuverlässige Menschen. Jetzt haben wir einen kleinen Eindruck von ihrer Herkunft bekommen und dafür sind wir unendlich dankbar!
Auch an der dalmatinischen Sonnenküste ziehen hin und wieder dunkle Wolken auf und fallen ein paar Tropfen Regen, wie wäre auch sonst das viele Grün zu erklären. Bevor man sich dann mit einem Kaffee und einem guten Buch in den Wohnwagen zurückzieht (das geht ja auch abends noch, und dann kann man den Kaffee gegen ein Glas Plavac Mali eintauschen), bietet sich ein Stadtbesuch an. Zadar liegt für uns (von der vorgelagerten Insel Ugljan aus) zum Greifen nah, die Fähre pendelt fast wie ein Bus ab Preko (dem Fährhafen von Ugljan) zum Festland und zurück. Die Personenfähre hat den Vorteil, quasi direkt in der Altstadt von Zadar anzulegen. Diese liegt auf einer Halbinsel, die nicht sonderlich weitläufig ist. Nach einer etwa halbstündigen Fährfahrt ist man also direkt im Zentrum des touristisch relevanten Geschehens. Also Stadtbesuch für uns! Wir kennen die etwa 75.000 Einwohner zählende dalmatinische Küstenstadt von früheren Besuchen und sind gespannt, ob wir im September 2022 Neues entdecken und Bekanntes wiedererkennen werden. Nachdem wir von Bord gegangen sind, führt unser erster Weg zur Meeresorgel. Die ist auf jeden Fall sehens- und erlebenswert, auch zum wiederholten Mal. Zur ihr sind es von der Anlegestelle der Fähre nur ein paar Schritte. Die Orgel, im April 2005 eingeweiht, ist wahrscheinlich inzwischen eine der bekanntesten Sehenswürdigkeiten von Zadar, und ihr einziges Problem ist, dass es nichts zu sehen gibt. Die Musik spielt sozusagen unter Tage. Die Orgel macht allen Besuchern Spaß, weil sie mit ihren bauchigen Tönen immer wieder neue Melodien produziert, abhängig von Wellengang und Tide. Unter den Stufen und unterhalb vom Meeresspiegel befindet sich ein System von Röhren unterschiedlicher Länge und Durchmesser, die in einem Winkel von 20 Grad angebracht sind. Diese münden in Orgelpfeifen. Durch das Ein- und Ausfließen des Wassers entstehen dann die Klänge. Schon 2006 erhielt die Meeresorgel den „European Prize for Urban Public Space“ – unseres Erachtens vollkommen zu Recht! Leider gibt das Werk fotografisch gar nichts her. Aber, viel wichtiger, es erzeugt Freude und sorgt für kindliches Staunen und Verzückung in den Gesichtern der Menschen ;-).
Zadar wartet mit 3.000 Jahren Geschichte auf, und wo man geht und steht begegnet man Hinweisen darauf. Manchmal eher dezent, dann wieder geradezu wegversperrend. Gelegentlich kommt sie auch als Ansammlung wuchtiger Stolpersteine daher.
Häufig stehen die Zeugnisse der vergangenen Epochen unmittelbar nebeneinander, so wirkt beispielsweise die Korinthische Säule am Petra-Zoranića-Platz etwas deplatziert, wie hingestellt und nicht mehr abgeholt.
Ob diese Säule wohl wirklich in der Römerzeit mal hier gestanden hat?
In der Gesamtbetrachtung dominiert im Stadtbild der venezianische Baustil, was nicht verwunderlich ist, weil die Venezianer vom 15. bis 18. Jahrhundert in Zadar das Sagen hatten. Sie bauten die Stadt auch zu einer imposanten Wehranlage aus (als Reaktion auf die Expansion der Osmanen). Teil dessen ist die Stadtmauer mit ihren vier Toren, das berühmteste davon ist das sogenannte Landtor (Porta Terraferma) mit dem kleinen angrenzenden Hafen Foša.
Der venezianische Markuslöwe über dem LandtorTreppe zur StadtmauerSeetor
Ein Spaziergang über die Stadtmauer lohnt sich. Von dort hat man einen schönen Blick auf die Stadt einerseits und auf den Hafen anderseits.
Die Reste der Stadtmauer lassen sich zum großen Teil begehen. Der Spaziergang endet an einer Stelle, wo die sogenannten Barkajoli seit dem 14. Jahrhundert ihre Fährdienste anbieten. Sie rudern unermüdlich Bewohner und Touristen auf die andere Seite des Stadthafens in die Neustadt und zurück. Eine Tradition, die vom Vater auf den Sohn übertragen wird.
Fährmann im Einsatz
Enge Gassen und große Plätze, oft vor Kirchen, sorgen für Atmosphäre in alten Städten. Zadar hat davon reichlich.
Glockenturm der Kathedrale der Heiligen AnastasiaDer Fünf-Brunnen-Platz – die Brunnen wurden während der türkischen Belagerung im 16. Jahrhundert gebaut.Das Forum und die Kirche des Heiligen Donatus (9. Jahrhundert; hier finden auch Konzerte statt)
Beim Streifzug durch die Stadt aufgelesen:
Schmuck- und BilderausstellungBlick in einen HinterhofWeinbar in historischen Gebäude
So richtig begeistern können wir uns an diesem Tag für Zadar leider nicht. Das liegt sicherlich nicht nur am wolkenverhangenen Himmel. Geschichte und Geschichtliches gibt es zwar reichlich hier, auch die Museen sind offenbar sehr interessant. Aber das Ganze wirkt auf uns eher etwas disparat, wenig homogen. Und vielleicht hat dies wiederum mit der (jüngeren) Geschichte zu tun: Zadar lag Anfang der Neunzigerjahre im Kroatienkrieg unter heftigem Beschuss. Davon waren auch viele historische Bauten betroffen. Und zu diesem Zeitpunkt hatte sich die Stadt noch lange nicht von den Flächenbombardements durch die Alliierten am Ende des Zweiten Weltkriegs erholt. Wenn alles kaputt ist, braucht man zuallererst Wohnraum für die Menschen. Stadtplanerische Überlegungen spielen dabei keine Rolle. Das Ergebnis sieht dann beispielsweise so aus:
Wir haben da als Touristen aus Deutschland gut reden, das ist schon klar. Und wir sehen schon, dass vieles noch im Werden ist. Heilungsprozesse haben ihre eigene Zeitrechnung. Also freuen wir uns auf unsere nächste Begegnung mit Dalmatiens Küstenmetropole. Und ein Eis mit richtig DUNKLER Schokolade.
Varoš liegt nur etwa zwei Kilometer von unserem Campingplatz entfernt und Teresa, die den kleinen Laden auf unserem Campingplatz betreibt und über alles, was auf Ugljan läuft, Bescheid weiß, hat uns gesagt, da müssen wir hin. Das Örtchen veranstaltet zum Saisonausklang jedes Jahr ein Fest, und das sollte man erlebt haben. Wir hören auf Teresa. Denn Teresa weiß, wo es den frischesten Fisch und das beste Olivenöl gibt. Und wenn man zur Fischfrau geht und einen Gruß von Teresa ausrichtet, packt die einem den Fisch ein, der eben nicht aus der Fischzucht kommt. Mountainbiketrail? Teresa fährt selbst auch und hat die richtigen Tipps parat … Also: Teresa hat unbedingt das Fest in Varoš empfohlen, und deswegen ist der Flecken auch unsere erste Station auf einer Radtour in den Süden der Insel. Wir kommen gegen 11.30 Uhr an, die Vorbereitungen sind in vollem Gang. Das obligatorische Schweinchen gart auf dem Grill vor sich hin, in einem Topf schmort Fleisch mit verschiedenen Zutaten, ebenfalls über dem offenen Feuer. Hmm …
Kein Fest ohne Spanferkel …
Kaum haben wir unsere Räder abgestellt, kommt ein Bär von Mann auf uns zu, begrüßt uns freundlich und fragt uns, was wir trinken möchten. Da wir noch Radfahren wollen, rät er, Mlade, uns zu „Gemischt“, also einer Weißweinschorle. Er wisse aus Erfahrung, dass Bier und Radfahren nicht so kompatibel seien. Er sei auch viel mit dem Rad unterwegs. Er muss dann aber auch gleich weiter; bezahlen lässt er uns nicht. Was für ein herzlicher und unkomplizierter Empfang von fremden Menschen.
Kurz darauf kommen wir mit einer jungen Frau ins Gespräch. Sie heißt Jelena und arbeitet als Kellnerin in einem Restaurant. Sie spricht sehr gutes Englisch. Es stellt sich heraus, dass sie eigentlich von Beruf Grundschullehrerin ist. Sie ist Serbin und hat keine Hoffnung auf eine adäquate Anstellung in ihrem Land. Viele junge Leute gingen weg aus Serbien, weil sie dort keine Zukunft hätten, meint sie. Auf dem Festland in Kroatien sei es für Serben schwierig, Arbeit zu finden, aber auf der Insel sei es einfacher. Wir fragen sie, warum sie es nicht als Lehrerin in Kroatien versuche, das sei doch von der Sprache her kein Problem, und die Ausbildung sei doch wahrscheinlich vergleichbar. Nein, lächelt sie verlegen, das habe sie sich nicht getraut. Sie könne sich auch nicht vorstellen, dass man sie als Serbin einstellen würde. Sie müsse jetzt auch los zur Arbeit. Sie bedankt sich etwas überschwänglich für das Gespräch, setzt sich aufs Fahrrad und radelt davon. Hinten auf dem Rucksack weht ihre weiße Bluse im Fahrtwind, die wohl Teil ihrer Berufskleidung ist.
Wir gehen noch ein wenig herum, studieren ein handgeschriebenes Plakat, das im Zusammenhang mit einer Tombola steht. Jedes Geschäft, ob klein oder groß, hat einen Preis ausgelobt: ein Essen in einem Restaurant, ein paar Liter Olivenöl, eine Übernachtung …
Man läuft sich langsam für das Fest warm. Wir machen uns nach einer knappen Stunde wieder auf den Weg.
Auf den Rückweg, gegen fünf Uhr, schauen wir noch einmal in Varoš vorbei. Schon von weither dröhnt uns die Musik entgegen. Wir wollen noch etwas essen. Es ist schwierig, eine Bestellung aufzugeben, das geht nur schreiend und mit Zeigen, so laut ist die Mucke. Der DJ spielt kroatische Schlager, die offenbar alle kennen, Jung und Alt, fast alle singen mit, es wird in kleinen Gruppen getanzt, zumeist Frauen.
Kaum haben wir uns an einen freien Tisch gesetzt, steuert Mlade wieder auf uns zu. Er kenne uns doch … Jetzt fällt’s ihm wieder ein. Er war den ganzen Tag hier. Mittlerweile ist seine Frau auch dabei, die beiden setzen sich zu uns. Auch ihre beiden Töchter, Anfang zwanzig, sind auf dem Fest. Wir unterhalten uns. Die Familie stammt aus Zagreb und hat seit vielen Jahren ein Haus auf Ugljan. Wir reden über die Familie, vor allem die Kinder. Mlade berichtet, dass er leidenschaftlich gerne Rad fährt, bis zu 150 Kilometer am Tag. Unglaublich. Das ist auch deshalb besonders beeindruckend, weil Mlade keine Hände mehr hat. Die habe er im Krieg Anfang der Neunzigerjahre verloren, sagt er. Das ist sicher eine Verstümmelung, an der man verzweifeln kann. Aber Mlade sagt, das sei vor allem eine Kopfsache, eine Frage des Willens. Er gehe immer davon aus, dass er grundsätzlich alles tun könne, er empfinde keine wirklichen Einschränkungen. Manches sei für ihn schwieriger als für andere, und natürlich sei er in bestimmten Situationen auf Hilfe angewiesen. Aber er lasse es nicht zu, dass seine Kriegsverletzung sein Leben bestimme. Wir sind von diesem sympathischen und frohgemuten Mann mehr als nur beeindruckt.
In den folgenden Tagen ist Mlade immer wieder Thema in den Gesprächen zwischen Eva und mir. Wie kommt er wohl mit den vielen kleinen Herausforderungen des Alltags zurecht? Wie wäscht er sich, wie isst er, wer führt kleine Reparaturen im Haus aus? Und wie würde man selbst mit einem solchen Schicksalsschlag umgehen?
Wer viel reist und die Begegnung mit anderen Menschen sucht, erlebt auch mehr dieser Zufallsbegegnungen, die im besten Fall zum Nachdenken über das eigene Leben anregen. Das kann mal ein kurzer Moment sein, eine Beobachtung oder Wahrnehmung anderer Art, oder auch ein intensiver Austausch. Sie gehören auf jeden Fall zu den kleinen Perlen, die das Leben zum Leuchten bringen.