USA

Denk ich an Deutschland in der Nacht,
Dann bin ich um den Schlaf gebracht,
Ich kann nicht mehr die Augen schließen,
Und meine heißen Tränen fließen.

Nachtgedanken, 1843, Heinrich Heine (1797-1856)

Mit diesem Gedicht wendet sich der deutsche Dichterfürst Heine einerseits an seine Mutter, die er jahrelang nicht mehr gesehen hat, andererseits äußert er sich über den beklagenswerten Zustand seines Heimatlandes.
Und so ähnlich geht es uns mit den USA.
Wir haben dieses Land schon mehrfach bereist. Ich (Wolfgang) erstmals während meines Anglistikstudiums. Im Sommer 1982 packten wir (eine Frau, drei Männer) unsere Rücksäcke und fuhren per Anhalter nach Brüssel, dann weiter mit dem Flieger nach New York. Dort blieben wir ein paar Tage bei Freunden, kauften uns ein Auto und fuhren etwa acht Wochen lang im Zickzack quer über den Kontinent bis nach San Francisco. Wir schliefen im Zelt, meistens auf einem Campingplatz.
2006 waren Eva und ich zum ersten Mal gemeinsam im Land der unbegrenzten Möglichkeiten, zusammen mit unseren beiden Söhnen, 2011 wieder zu zweit in Florida.

Leider ist das Verhältnis zu diesem Land, mit dem wir viele unvergessliche Erlebnisse und Momente verbinden, über die Jahre schwieriger geworden. Möglicherweise ist es ein Stück weit bei Ländern wie mit Menschen, von denen man fasziniert ist. Am Anfang steht eine etwas naive, auf jeden Fall positive Wahrnehmung: spektakuläre Natur, Musik, Film, Technik und IT, die schöne Geschichte „vom Tellerwäscher zum Millionär“ … Mit der Zeit wird sie durch eine kritische Haltung konterkariert: imperiales Gehabe, Umweltverschmutzung, Nationalismus, Rassismus und soziale Ungerechtigkeit, religiöser Fundamentalismus … Zeitweilig wächst sich die Kritik zum völligen Unverständnis aus (Trumpismus). Aber von Verwandten kann man sich nicht einfach lossagen. Solche Entwicklungen sind Teil eines Reifungsprozesses. Irgendwann versteht man, dass die Schwarz-Weiß-Schablone nichts taugt und das Leben viele Gesichter und noch mehr Facetten hat. Und man hat gelernt, dass eine über Dritte bzw. Medien vermittelte Sicht auf ein Land nur punktuell der Wirklichkeit entsprechen kann. Deshalb ist es so wichtig, sich selbst ein Bild zu machen, das heißt für uns, vor Ort zu sein: im Land herumreisen, mit Menschen sprechen, Land und Leuten mit offenen Augen und Ohren begegnen, nicht zu schnell (ver-)urteilen, Widersprüche zulassen.
Das gilt nicht nur für unseren schwierigen großen Bruder USA.
Wie sagte einst Walt Whitman (1819-1892) im „Song of Myself“:

Do I contradict myself?
Very well then I contradict myself,
(I am large, I contain multitudes.)