Tarragona – raus aus dem Schatten von Barcelona!

Tarragona steht ein wenig im Schatten von Barcelona. Alles strebt in die Hauptstadt Kataloniens, da bleiben die Perlen im näheren Umfeld links liegen. Dabei ist das ca. 100 km entfernt liegende Tarragona (132.000 Einwohner) definitiv ein Kleinod. Wir hatten an diesem sonnigen Samstag im Oktober wenig Lust auf trubelige Großstadt und Anstehen bei Sehenswürdigkeiten und haben unsere Entscheidung nicht bereut. Tarragona schien uns geradezu leer. Wir sind in der Altstadt durch diverse Gassen geschlendert, ohne einer Menschenseele zu begegnen. Der alte Stadtkern wird wesentlich durch zwei Bauelemente bestimmt: Da ist zum einen die Kathedrale, ein zentraler Anziehungspunkt für die Bewohner und die Touristen gleichermaßen, die größte in Katalonien. Hm, Katalonien. Und wie verhält es sich mit dem Gesamtspanienvergleich? Überall wehen hier die Katalonienfahnen, bei erklärenden Texten ist stets Katalanisch die Nummer eins, gefolgt von Spanisch, manchmal auch Englisch dazu. Auf vielen Balkonen sind Banner angebracht: „Freiheit für die politischen Gefangenen“ heißt es darauf kämpferisch. Wir können mit diesem überzogenen Lokalpatriotismus wenig anfangen, zumal Katalonien wie auch das Baskenland bereits weitgehend unabhängig agieren können, wenn sie die Zugehörigkeit zum Staat Spanien nicht grundsätzlich in Frage stellen. Und wäre es – der Brexit lässt grüßen – gut für Europa, wenn sich hier und dort noch kleine eigenständige Staaten bilden (die dann doch wieder am EU-Finanzierungstopf hängen)? Wir haben massive Zweifel, dass diese Kleinstaaterei die EU voranbringen könnte.

Gerne haben wir 5 Euro Eintritt in die Kathedrale investiert, um uns dieses Zeugnis des christlichen Glaubens, das über mehrere Jahrhunderte entstanden ist, von innen anzuschauen. Das Bauwerk deckt von der Romanik bis zur Gotik mehrere Stilrichtungen ab. Besonders beeindruckt hat uns der wunderschöne Kreuzgang. Die Kathedrale wurde zum Teil auf römischen Fundamenten erstellt. Womit wir beim zweiten wichtigen Architekturelement Tarragonas wären. Hier stolpert man geradezu über die Hinterlassenschaften der Römer. Man trifft nicht nur überall auf Mauerreste, Säulen, Türme und Portale. Die Stadt bietet überdies ein sehr gut erhaltenes, großes Amphitheater mit Blick aufs Meer.

Ein weiteres Highlight aus der römischen Vergangenheit ist die Stadtmauer (von ursprünglich 3,5 km stehen noch 1,1 km), die ab dem 2. Jahrhundert v. Chr. in zwei Phasen gebaut wurde. Ihr vorgelagert sind Wälle, Bastionen und Festungsanlagen aus dem 16.-18. Jahrhundert. Das römische Tarragona hatte übrigens mehr Einwohner als das mittelalterliche.

Tarragonas Altstadt ist kein herausgeputztes Vorzeigeviertel. Hier wohnen Leute. Und es sieht ganz so aus, als ob die Mieten noch erschwinglich wären, auch für die Wenigerbetuchten. Deutliche Anzeichen für eine Gentrifizierung konnten wir nicht beobachten; nur hin und wieder ein kleiner Laden mit originellen kunsthandwerklichen Produkten oder ein nettes Lokal, das in erster Linie von Einheimischen frequentiert wird. Da ist – sehr zu unserer Freude – dann auch Raum für Straßenkunst 😊.

Tarragona hat uns sehr gut gefallen. Es passte irgendwie ins Bild, dass auch der Campingplatz in der Nähe für uns ein Volltreffer war: ruhig, direkt am Meer, toller Strand mit Blick auf eine Burgruine. Verdammt schön, dieses Katalonien.

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