Bei Freunden in Slawonien

„Ja, machen wir, bestimmt, wir kommen bei euch vorbei!“ Das hatten wir schon öfter gesagt. Da wir fast jedes Jahr einmal in Kroatien sind, wollten wir schon immer mal unsere Freunde besuchen, die von dort stammen. Und bisher hatte es nicht geklappt, weil deren Heimatort nicht gerade auf dem Weg liegt, wenn wir nach Kroatien fahren (und wir möglichst schnell an die wunderschöne Küste wollen). Denn unsere Freunde, Jelena und Nicola, kommen aus Slawonien.

Nein, ein Schreibfehler ist das keineswegs. Die Region ist eben nicht so bekannt wie „Istrien“ oder „Dalmatien“. Slawonien hat keine Küste, es liegt im Hinterland, genauer: im Osten von Kroatien, angrenzend an Ungarn, Bosnien und Serbien. Slawonien gilt als Kornkammer Kroatiens und ist überwiegend flach (sieht man einmal von einem Mittelgebirge im Westen und in der Mitte ab). Wo es viele (offene) Grenzen gibt, mischt sich die Bevölkerung stark. Das gilt auch für Slawonien.

Einige Gebiete Slawoniens (vor allem der Osten und der Westen) waren im KroatienKrieg Anfang der Neunzigerjahre hart umkämpft. Sie wurden im Rahmen der UNTAS-Mission (United Nations Transitional Administration for Eastern Slavonia, Baranya and Western Sirmium) final Kroatien zugeschlagen.

Damals sind Jelena und Nicola als Serben geflohen und fanden in Deutschland Wohnung und Arbeit und, mit den Jahren, ein neues Zuhause. Ihr Sohn Dragan wurde in Deutschland geboren. Die beiden waren Ende dreißig, als sie ihre Heimat verließen, und sie sprachen kein Wort Deutsch. Und ihre Herzen waren schwer, schließlich hatten sie Familie und Freunde zurückgelassen und wussten nicht, was sie in Deutschland erwartete. Sie nutzen ihre Chancen und arbeiteten hart. Sie schafften den kompletten Neuanfang. Heute geht es ihnen gut, und inzwischen können sie als Rentner die Früchte ihrer Arbeit genießen.

Es zieht sie nach wie vor in ihre alte Heimat, dorthin, wo Nicola geboren und aufgewachsen ist. Vielleicht mit zunehmendem Alter noch stärker. Es ist ein kleiner Flecken namens Laze Ćosine, in der Nähe von Požega. Dorthin, oben auf einer Anhöhe, würde es kaum mal einen Touristen verschlagen. Hier haben die wenigen Familien, die hier leben, keinen Wasseranschluss, sie holen ihr Trinkwasser aus dem Brunnen. Elektrischer Strom ist noch vergleichsweise neu. Als Brennmaterial nutzen die Menschen Holz. Man erreicht Laze über eine Schotterpiste.

Wenn man sie denn findet. Eva und ich sind schon viele Tausende Kilometer mit dem Wohnwagengespann durch Europa gefahren. Und wir haben schon diverse vertrackte Orientierungsprobleme gelöst. Mit zwei Navigationssystemen, Experimentierfreude, manchmal auch Wagemut. Aber bei Laze Ćosine mussten wir passen. Um ein Haar hätten wir ein Reh überfahren. Wir fuhren uns im Wald fest und mussten irgendwie zurück. Und wir bewegten uns mehrfach im Kreis. Schließlich half nur noch ein Anruf bei Nicola, der uns dann abholte und ans Ziel brachte, indem er vor uns herfuhr …

Hier ging’s für uns mit dem Wohnwagen nicht weiter – was jetzt??
Also wenden. Aber wie?
Rückwärts in eine kleine Waldlichtung, da kommt Freude auf.

Nachdem wir den Wohnwagen endlich auf dem Hof abgestellt hatten, gab es ein leckeres Essen: Gemüse, Kartoffeln und mehrere Sorten Fleisch, in einem gusseisernen Behältnis (genannt Peka oder Ispod Peke) über dem offenen Feuer gegart, dazu ein kühles Bier. Und das bei sommerlichen Temperaturen. Herrlich!

Nicola ist in Laze ein anderer Mensch“, sagt Jelena manchmal. Wenn dieser mit einem Liedchen auf den Lippen am frühen Morgen mit seinem Traktor in den Wald fährt. Oder die Obstbäume schneidet. Oder im Gästehaus eine Dusche einbaut …

Nicola hält seinen Traktor immer in Schuss.

Denn es gibt in Nicolas Elternhaus und den angrenzenden Nutzbauten unendlich viel zu tun. Mehr als ein einzelner Mensch schaffen könnte, selbst wenn er noch so fleißig ist. Nicola und Jelena hegen und pflegen das alles, weil dies gleichzeitig ein Herkunfts- und ein Sehnsuchtsort ist. Hier sind Nicolas Wurzeln (Jelena stammt aus einem Nachbarort).

Die beiden kennen jeden in Laze. Sitzt man draußen und tuckert jemand mit dem Trecker vorbei, hält dieser gleich an und gesellt sich dazu. Pivo? Oder vielleicht ein Gläschen vom Selbstgebrannten? Und sitzt erstmal einer, kommt gleich der nächste dazu. Das ist hier selbstverständlich. So entsteht manchmal eine stattliche Runde. Die sich dann auch wieder auflöst, weil man ja noch zu tun hat. Man braucht keine Einladung, keine Terminabsprache. Man kommt einfach vorbei. Auf einen Schnaps, einen Kaffee oder ein Stück selbstgebackenen Strudel.

Laze Ćosine ist Teil einer ländlichen Idylle und in diese eingebettet. Ein lauer Sommerabend, ein Sonnenuntergang, der Duft von ursprünglicher Landwirtschaft …

Aber diese Bilder sollten nicht darüber hinwegtäuschen, wie hart es für den Einzelnen sein kann, unter diesen Bedingungen seinen Lebensunterhalt bestreiten zu müssen. Ganz zu schweigen von den vielen Narben, die der Krieg Anfang der 1990er-Jahre in den Herzen und Köpfen der Menschen hinterlassen hat. Wir haben mit Jelena und Nicola einige Ausflüge unternommen, bei denen wir viele Spuren der Kämpfe gesehen haben: zerstörte Häuser, Fassaden mit Einschusslöchern, unzählige verlassene Häuser, Geisterdörfer … Krieg und Vertreibung sind nach dem Ende des Zweiten Weltkriegs nicht erst mit Putins Einmarsch in die Ukraine nach Europa zurückgekehrt; sie waren vor dreißig Jahren auch schon wieder da.

Für uns war dieser Besuch vor allem wichtig, weil wir mehr über den Hintergrund unserer Freunde Jelena und Nicola erfahren wollten. Wir kennen sie als ausgesprochen großzügige, hilfsbereite und zuverlässige Menschen. Jetzt haben wir einen kleinen Eindruck von ihrer Herkunft bekommen und dafür sind wir unendlich dankbar!

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