Santiago de Compostela – Sehnsuchtsort der Pilgerscharen

Santiago hat nur etwa 80.000 Einwohner und genießt dennoch Weltruhm als Wallfahrtsort. Alljährlich strömen über 150.000 Pilger und zigtausende von Besuchern in die Stadt, vor allem in der wärmeren Jahreshälfte. Im Juli und August platzt Santiago de Compostela aus allen Nähten, im September ist es verhältnismäßig ruhig. Wir haben also doppelt Glück: Wir verbringen den 17. September hier und das ist ein sonniger Tag, um die 25 Grad.

Das Einparken im Parkhaus in fußläufiger Nähe zur berühmten Kathedrale ist Millimeterarbeit. Wir fragen uns, warum man bei der Einfahrt nicht gleich einen Schuhlöffel überreicht bekommt – damit man später ohne Quetschungen wieder ins Fahrzeug einsteigen kann. Aber geschenkt. Nach ein paar Schritten sind wir auf dem zentralen Platz, dem Praza do Obradorio (klar, das ist kein Spanisch, sondern Galizisch und heißt „Platz der Arbeiter“). Vor uns erhebt sich die mächtige Kathedrale, die über viele Jahrhunderte gebaut wurde. Deswegen hat sie romanische, gotische und barocke Elemente. Barock dominiert eindeutig. Das opulent und leicht schwülstig Wirkende ist nicht unbedingt unsere liebste Stilrichtung, aber wir können gut nachvollziehen, warum für manche Menschen dieses Bauwerk zu den schönsten Gotteshäusern der Welt zählt.

Rund um den Platz sind weitere imposante Gebäude angesiedelt: Das Museo da Catedral; das Hostal dos Reis Católicos, das früher einmal den Armen und Gebrechlichen als Krankenhaus diente und heute ein luxuriöses Hotel ist; der elegante Pazo de Raxol, in dem das Rathaus unterbracht ist – um nur einige zu nennen.

Der Platz vor der Kathedrale hat eine besondere Stimmung. Das für viele Attraktionen inzwischen übliche touristische Brimborium findet sich hier kaum, auch sind keine Cafés oder Verkaufsstände erlaubt. Viele Pilger sitzen einfach auf dem groben Pflaster und schauen auf die Kathedrale. Man sieht ihnen die Anstrengungen der letzten Wochen an. Einige hocken in kleinen Gruppen zusammen, manche allein. Sie haben es geschafft, sind z.T. über 700 Kilometer gewandert, um sich in Santiago de Compostela ihren letzten Stempel fürs Wanderbuch und ihr offizielles Zertifikat abzuholen. Einige haben die Strecke mit dem Rad absolviert. Viele junge Menschen sind dabei, aber es sind insgesamt die unterschiedlichsten Altersklassen vertreten. Ganz offensichtlich muss man auch kein Supersportler sein, um die Strecke zu absolvieren. Wir sagen: Respekt! Gerne wüssten wir auch, wie viele Menschen diese Wanderung mit dem Symbol der Jakobsmuschel aus religiösen Motiven auf sich nehmen.

Santiago ist die Stadt der Legenden, und manche überschreiten die Grenze zur Lächerlichkeit, zumindest für unseren Geschmack. Aber der Mensch braucht Geschichten, auch wenn sie bei näherer Betrachtung absurd erscheinen. Bester Beleg dafür ist ja eigentlich die Gründungsgeschichte Santiagos selbst. Da wurden einfach Knochen flugs zu Originalgebeinen vom Apostel Jakobus erklärt, und schon hatte die christliche Pilgerei einen weiteren Zielort, neben Rom und Jerusalem. Ein besonderes Legendenerlebnis bietet sich dem geneigten Pilger bei der Besichtigung des Inneren der Kathedrale – die im Übrigen seit Jahren eher einer Baustelle nahekommt (und das, obwohl unser betagter Reiseführer angibt, dass wohl bis 2014!!! mit Restaurationsarbeiten zu rechnen sei … na ja, man denke nur an den Berliner Flughafen). Die Besucher stehen geduldig in beeindruckend langer Schlange an, um eine Statue von Jakobus aus dem 13. Jh zu küssen oder zu umarmen. Andere Traditionen wie seinen Kopf dreimal an einer Statue des Kathedralen-Baumeisters Mateo zu stoßen, um etwas von dessen Klugheit zu übernehmen, führten dazu, dass dessen Nase inzwischen ganz platt ist und man diese fragwürdige Praxis durch Absperrbänder verhindert. Eine hiesige Käsespezialität, Tetilla (Nippel) – genauso sieht sie auch aus -, basiert auf einer weiteren Lege: Örtlichen Machthabern erschienen die Steinbrüste der Königin Esther so aufreizend, dass sie sie abfeilen ließen, was die Stadtbewohner veranlasste, besagten Käse zu  erfinden.Widerstand der besonderen Art …

Wir folgen über mehrere Stunden einem vom Tourismusbüro empfohlenen Weg, vorbei an vielen Plätzen, Parkanlagen, Kirchen, anderen interessanten Bauwerken, altertümlichen Markthallen, durch z.T. enge Gassen. Die Stadt ist nicht überlaufen. Ganz in Ruhe und mit viel Zeit zum Verweilen schlendern wir durch das fast vollständig autofreie Altstadtviertel, hin und wieder geht’s sogar mal eine kleine Anhöhe hinauf.

Nach einem spätnachmittäglichen Mittagessen machen wir uns nach ein paar weiteren Schlenkern auf den Heimweg. Um eine weitere Stadt-Erfahrung reicher. Danke, schönes Santiago de Compostela!

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