Hoi An – Laterne, Laterne, Sonne, Mond und Sterne?

Hoi An, ein Örtchen circa 40 Kilometer südlich von Da Nang, ist ein echter Touristenmagnet. Kaum ein Tourist, der von Nord nach Süd (also von Hanoi nach Saigon) oder in umgekehrter Richtung unterwegs ist, verzichtet auf einen Hoi-An-Besuch. „Freilichtmuseum mit Charme“, so beschreibt der aktuelle Vietnam-Reiseführer von Stefan Loose Hoi An treffend. Manchmal wird auch die Bezeichnung „Venedig von Vietnam“ verwendet.

Hier stimmt einfach vieles, was man von einem solchen Ort erwartet. Da ist zunächst einmal die erforderliche Infrastruktur mit Restaurants und Unterkünften für jeden Geldbeutel (ab zwei Euro für eine Nacht im Gruppenschlafsaal eines Hostels), mehrstöckige Hotels sind rar. Ebenso größere Supermärkte und dergleichen, zumindest im touristisch interessanten Zentrum. Die Gastronomie- und Einkaufswünsche werden über kleinere Bars, Restaurants wie auch eine Fülle von Streetfood-Ständen abgedeckt; die Läden sind zumeist einem klar definierten Produktsortiment zuzuordnen. Was in der Altstadt markant auffällt: Es gibt viele Massagesalons (nichts Dubioses!) und noch mehr Lederwarengeschäfte (Schuhe, Taschen, Gürtel, Hüte).

Lederwaren für jeden Geschmack.

Wofür Hoi An aber vor allem, auch international, bekannt ist: Schneider und noch mehr Schneider, die auf Maß arbeiten, tendenziell eher elegantere Kleidungsstücke wie Kleider für festliche Anlässe, Anzüge und Hemden. Aber selbstverständlich auch alles andere, was modisch ist und den Körper ziert. Es soll hier etwa 620 Schneider geben. Unglaublich. Ob die wirklich alle ein Auskommen finden?
Natürlich ist das eine große Versuchung: Was zu Hause für Normalerverdiener ein Wunschtraum bleibt, ist in Hoi An plötzlich realisierbar: ein auf Maß gefertigtes Kleidungsstück. Das Konzept scheint jedenfalls aufzugehen. Auch viele Backpacker nehmen die Schneider-Angebote wahr. Selbst die jungen Männer, für die normalerweise ein paar Schlappen, ein schlabberiges T-Shirt und Shorts ausreichen, um angezogen zu sein, geraten ins Grübeln. Für Bewerbungsgespräche oder im Job zu Hause könnte so ein schicker Anzug ja vielleicht Eindruck machen und ganz nützlich sein … Ein solches Kleidungsstück ist ggf. nach 24 Stunden fertig zur Anprobe, und es wird selbstredend zuverlässig nach Übersee versandt.

Hm. Das funktioniert eben alles nur, weil das Material günstig ist und – vor allem – die Arbeit, zumindest aus westlicher Sicht, fast nichts kostet und damit auch wenig wert ist. Wie würden wir uns empören, wenn ein Schneider in Deutschland über Nacht ohne angemessenen Lohn und entsprechende Zuschläge ein festliches Abendkleid fertigen müsste? Aber hier in Vietnam scheint es uns nicht wirklich zu stören. Man freut sich eher, wenn man den Preis deutlich runtergehandelt hat.

Einer von über 600 Schneiderläden in Hoi An.

Blick zurück:
Hoi An war mit seiner Lage am Fluss und am Meer ehemals (im 16. und 17. Jahrhundert) ein wichtiger Umschlagplatz, gleichermaßen für Waren (u.a. Porzellan und Seide) und Kultur. Japaner, Chinesen und einige europäische Länder (Holland, Frankreich, England) hatten hier ihre Handelshäuser, manche Asiaten siedelten sich hier an. Das spürt man auch heute, wenn man durch die Altstadt und am Fluss entlang schlendert. Man sieht eine Vielzahl von chinesischen Pagoden und Versammlungshäusern, ebenso ein gut erhaltenes japanisches Kaufmannshaus. Und selbstverständlich kann Hoi An mit diversen vietnamesischen Familienhäusern aufwarten, die man in der xten Generation bewohnt. Viele von ihnen sind zu besichtigen, einige sogar kostenfrei. Dann wird man jedoch auch ein wenig bedrängt, etwas zu kaufen. Die Aufteilung der Häuser ist stets ähnlich: Im vorderen Bereich unten befindet sich ein Laden oder eine Werkstatt, daran schließt sich ein Wohnbereich mit einem lichten Innenhof an. Die oft schmalen Häuser erreichen eine Tiefe von bis zu 60 Metern und führen auf eine Parallelstraße. Deshalb werden sie auch als „Tunnelhäuser“ bezeichnet. Für historisch Interessierte ist der Zutritt kommod gelöst: Überall in der Innenstadt stehen Tickethäuschen, wo man für 120.000 Dong (etwa fünf Euro) ein Ticket kauft und dann aus 25 Sehenswürdigkeiten fünf auswählen und anschauen kann. Sehr praktisch beim Schlendern: Zu bestimmten Zeiten (werden die Straßen in Flussnähe kurzerhand zu Fußgängerzonen umfunktioniert, indem man den Zugang für Fahrzeuge sperrt. Das freut und entspannt den Fußgänger und ist eine große Seltenheit in Vietnam. Man verwendet dafür solche Sperren:

Nachfolgend zwei Beispiele für die chinesischen Einflüsse (wir können im Rahmen unseres Blogs nur einen Eindruck vermitteln):

1. Der Quan Cong Tempel, auch als Song Pagode bekannt. 1653 zu Ehren des legendären Generals Quang Cong gegründet.

Eine für chinesische Tempel typische Wächterfigur mit definitiv abschreckender Wirkung.

2. Der Ba-Mu-Tempel, 1626 erbaut und von 1848 bis 1922 mehrfach erweitert. Der Tempel ist nicht vollständig und hört hinter der beeindruckenden Fassade auf. Davor befindet sich ein Lotusteich:

Die Japaner haben u.a. ein zweistöckiges Handelshaus hinterlassen, das unter dem Namen Japanese Culture House bekannt ist und durch seine strengen Formen und Linien beeindruckt. Es repräsentiert das alte japanische Viertel von Hoi An.

DAS Symbol für den japanischen Einfluss auf Hoi An ist die 18 Meter lange Japanische Brücke, auch Tempelbrücke genannt, die einen Seitenarm des Thu-Bon-Flusses überspannt. Sie verband zur Zeit ihrer Entstehung 1593-95 das japanische mit dem chinesischen Viertel.

In Ermangelung eines besseren Motivs vom Prospekt abfotografiert 😞.

Zum Zeitpunkt unseres Besuchs (Oktober 2023) war der Japanische Tempel komplett überdacht und für Restaurationszwecke bis auf die Grundmauern abgetragen. Als Jahr der Wiedereröffnung gilt offiziell 2026.

Die Handelsschiffe wurden mit der Zeit immer größer, und wegen der zunehmenden Versandung der Flussmündung und des Hafens verlor Hoi An im 19. und 20. Jahrhunderts an Bedeutung. Da Nang übernahm sukzessive seine wirtschaftliche Funktion als Umschlagplatz. Hoi An verblieb in einer Art Dornröschenschlaf und wurde vor wenigen Jahrzehnten vom Tourismus wachgeküsst. Das erklärt die hohe Zahl an historischen Bauten in relativ gutem Zustand, und dies ist der Grund dafür, dass die UNESCO 1999 etwa 800 (!) Objekte aus der Altstadt des Hafenstädtchen auf die Weltkulturerbeliste nahm. Das ist natürlich ein Pfund, mit dem sich ordentlich wuchern lässt.

An dieser Stelle sollen beispielhaft zumindest zwei historische vietnamesische Häuser Erwähnung finden, weil sie uns persönlich beeindruckt haben. Zum einen das Ancient House, das bereits von außen einen imposanten Eindruck macht und inzwischen in der siebten Generation von einer Familie bewohnt wird. Man kommt ohne Eintritt hinein, erhält eine kurze Führung durch das Erdgeschoss und wird dezidiert zu den Verkaufsangeboten (u.a. selbstgefertigtem Silberschmuck) geführt. Und als wir wieder herauskamen, hatte sich Evas kleine Schmucksammlung um ein Paar Ohrringe erweitert 😊. Eine nette Erinnerung an Hoi An …

Auch einen Schreiner gab es in der Familie schon einmal.

Zum anderen das Reaching Out, das im vorderen Bereich ein Tee- und Kaffeehaus betreibt, im hinteren eine Werkstatt. Hier arbeiten Menschen mit Einschränkungen unterschiedlicher Art. Die Gäste werden beispielsweise von seh- und/oder hörbeeinträchtigten Mitarbeitern bedient. Man gibt seine Bestellungen mittels beschrifteten Klötzchen auf. In der Werkstatt stellen gehandicapte Kunsthandwerker Schmuck und Souvenirs her, die man vor Ort erwerben kann. Ein tolles Konzept, bei dem der Kauf eines schönen Geschenks gleich doppelt Freude erzeugt.

Der liebevoll gestaltete Eingangsbereich.
Kommunikation zum Anfassen.

DAS HIGHLIGHT für die meisten Besucher (auch uns): Allüberall leuchten die für Hoi An typischen bunten Laternen, die eine wohlige Atmosphäre schaffen und die Menschen mit ihrem Lichterspiel verzaubern. Häuser, Geschäfte und Kneipen, vor allem die Ruderboote (Sampan) auf dem Thu Bon, tauchen die Altstadt bei Dunkelheit in ein buntes Lichtermeer. Wer mag, kann auch ein kleines Laternenschiffchen von der aufs Wasser setzen und sich etwas wünschen – Wunscherfüllung garantiert😉. Am besten geht man zu diesem Zweck auf die berühmte „Bridge of Lights“, die die Altstadt mit der Flussinsel An Hoi verbindet. Die Brücke ist sowohl tagsüber wie auch nachts ein beliebter Selfie-Spot.

Blick von der Bridge of Lights.
Wünsch dir was.

Auch für Strandfreunde ist Hoi An durchaus attraktiv. Nur 4 Kilometer östlich der Altstadt liegt der Cua-Dai-Strand, 3 Kilometer nördlich der An-Bang-Strand. Beide sind leicht mit dem Rad zu erreichen. Und hier wie dort hat sich für Besucher eine gute Infrastruktur entwickelt, einschließlich Homestay-Angeboten, Restaurants, Cafés und Bars. Leider konnten wir uns das bei unserem Hoi-An-Besuch nicht persönlich anschauen, weil das Wetter zu unbeständig war. Wir waren vier Tage hier, und das Wetter hat sich öfter mal SO gezeigt:

Und was macht man DANN in Hoi An? Kein Problem: Zum einen ist es auch bei Regen warm. Zum anderen gibt es ein tolles Angebot an Cafés (vietnamesisch, europäisch), Historische Gebäude in Hülle und Fülle, Shoppingmöglichkeiten, die die Kreditkarte zum Glühen bringen, Märkte, Museen, Galerien, Kneipen … Ganz zu schweigen von den kulinarischen Verführungskünsten einer Stadt am Meer!

Auf Empfehlung eines in Hoi An lebenden Amerikaners haben wir als Garküchenfans mehrfach bei einer freundlichen Köchin im überdachten Teil des Zentralmarkts gegessen und verschiedene Gerichte bei ihr ausprobiert: allesamt frisch zubereitet und richtig lecker!

Alle wollen dich bekochen!
Aber wir waren nur einer echten Könnerin ihres Fachs treu.

Wir hatten bei der unserem Besuch schon den Eindruck, dass Hoi An trotz der vielen Besucher noch authentischen Charme ausstrahlte. Und ebenso können wir uns vorstellen, dass in wenigen Jahren ein Kipppunkt erreicht ist, an dem der Kommerz die Oberhand gewinnt und dieser liebenswürdige Ort zur reinen Folklore-Kulisse für eine gut geölte Tourismusmaschine wird.