Streetart im Bergdorf – Urzulei

Urzulei ist ein eher verschlafenes Bergdorf im Supramonte am Rande der Barbagia. Einer Landschaft, die bei Wanderern beliebt ist. Und bei Motorradfahrern, die die Serpentinen-Fahrten auf der SS 125 schätzen.

Im 1.300-Seelen-Dorf Urzulei hält kaum jemand an. Wer etwas essen oder trinken möchte, landet unweigerlich in der Pizzeria des Ortes. Dort finden auch wir uns an einem warmen Septembertag 2025 zur Mittagszeit ein. Denn für uns ist Cappuccino-Zeit. An zwei Tischen sitzen Männer, alt und jung, eifrig ins Gespräch vertieft, rauchend, hin und wieder am Wein- oder Bierglas nippend. Einige von ihnen scheinen ihre Mittagspause hier abzuhalten, andere sind wohl eher Rentner. Draußen ein alter, verbeulter und zerkratzter Pick-Up. Die Männer nehmen kaum Notiz von uns, erwidern aber unser „Buongiorno“.

Von unserem Platz aus fällt unser Blick sogleich auf ein Wandgemälde – zwei alte Männer, traditionell gekleidet, im innigen Austausch miteinander, einer berührt das Gesicht des anderen.

Deswegen sind wir hier, wegen der sogenannten „Murales“. In Urzulei gibt es etwa fünfzehn davon. Wir schlendern suchend durch die Straßen, entdecken hier ein Porträt, dort eine Szene. Die Werke folgen einem Konzept: Sie sind großformatige Gemälde auf Hauswänden, die auf Schwarzweiß-Fotos basieren. Die Künstler hatten den Auftrag, die Fotografien zu kopieren, ohne künstlerische Interpretation. Daher hat man beim Betrachten der Murales ein wenig das Gefühl, in einem Album mit alten Postkarten zu blättern.

Es geht um Alltagsszenen einer längst vergangenen Zeit, die ihre Spuren im Heute hinterlassen hat. Es geht um das Bewahren einer kulturellen Identität im Smartphone-Zeitalter. Urzulei ist wohl ein Bergdorf, wie man es auch sonstwo in den abgelegenen Gebieten der Insel findet. Aber es ist gleichzeitig eine Art Freilichtmuseum.

Dieses große Wandgemälde stellt ein weit über Sardinien hinaus bekanntes Spiel dar: Sa Murra. Dabei gewinnt, wer beim gleichzeitigen Ausspreizen der Finger die richtige Anzahl errät.

Beim Schlendern durch die Gassen von Urzulei fällt die Gleichzeitigkeit von Verfall und Modernität ins Auge. Manche Häuser sind mit Sorgfalt hergerichtet, andere gleichen eher primitiven Behausungen.

PS: Viele der Vorlagen für die Murales von Urzulei stammen von Ugo Pellis, der ebenfalls auf einer Wand verewigt ist.

Pellis (1883-1943) war ein italienischer Romanist, Dialektologe und Fotograf.