Unterwegs im Stiefelsporn – Gargano

Der Gargano, eine Art Halbinsel, deren Fläche vor allem aus einem Vorgebirge besteht (Promontorio del Gargano), hat sowohl zerklüftete Felsküsten als auch ausgedehnte Sandstrände. An heißen Tagen verspricht das Hinterland mit seinen tiefen Wäldern Kühlung. Als Ausgangspunkt für unsere Erkundungstouren haben wir Peschici ausgesucht.

Der Campingplatz liegt nur ein paar hundert Meter vom Strand entfernt, unser Stellplatz ist umsäumt von hohen, alten Olivenbäumen – gut so, denn das Thermometer bewegt sich oberhalb der 30-Grad-Marke. Diese Temperaturen und die Anfahrt über den Berg haben die Auflaufbremse unseres Wohnwagens derart in Wallung gebracht, dass die Schutzkappen der Radmuttern einfach weggeschmolzen sind. Dergleichen haben wir bislang noch nicht erlebt. Hoffen wir mal, dass die relativ neuen Bremsbeläge keinen Schaden genommen haben.

Das passiert, wenn man einen heißen Reifen fährt!

Peschici, 4.000 Einwohner, ist ein klassischer Badeort. Schöne Lage, direkt an den Berg geklebt. Die Sandstrände sind fest in der Hand der Lidos, die „ihren“ parzellierten Strand mit Schirmen und Liegestühlen bestücken. Da kann dann schon mal ein Tagespreis von hundert Euro für eine Familie zusammenkommen. Der öffentliche Strandabschnitt ist, wie andernorts auch, recht klein und wirkt im Vergleich zu den Strandsektoren eher etwas ungepflegt; war aber dort OK, wo wir uns aufgehalten haben. Beim ersten Strandspaziergang bekamen wir die volle Dröhnung des italienischen Strandlebens: alles dicht an dicht, laute Partymusik, Animation, Yoga-Gymnastik unter Anleitung, fliegende Händler, die von der Badehose über Strandkleider bis zur Kokosnuss alles anbieten. Wir stehen staunend davor und wissen nicht so recht, was wir aus dem Spektakel machen sollen. Auf jeden Fall scheint es den Italienern zu gefallen, und darauf kommt es schließlich an. Über Mittag nimmt der Geräuschpegel erheblich ab, Siesta eben. Hier ein paar Impressionen.

Je voller desto doller.
Strandladen mit zwei Beinen.
Wassergymnastik ist meist weiblich.

Der abendliche Bummel durch die Altstadt hat bei uns einen durchaus angenehmen Eindruck hinterlassen. Nicht nur deshalb, weil wir ausgezeichnet gegessen haben 😉.

Ein ganz anderes Kaliber freilich ist Vieste. Die 14.000-Einwohner-Stadt gilt als Tourismuszentrum des Gargano. Ihr Wahrzeichen ist ein etwa 20 Meter hoher, blendend weißer Monolith, im Süden der Altstadt, direkt am Strand. Er heißt, ganz unbescheiden, Pizzomunno, also „Spitze der Welt“. Manchmal ist die Welt eben doch klein und überschaubar …

In Vieste kann man gut mal einen Tag verbringen. Insbesondere die Altstadt lädt zum Bummeln und Entdecken ein. Viele kleine Gassen und historische Gebäude, u.a. die Cattedrale Santa Maria Oreta aus dem 11. Jahrhundert (mehrfach umgebaut) und die mächtige Festung, um 1240 unter Friedrich II. errichtet, die heute vom Militär genutzt wird. Besonders beeindruckend fanden wir einen Spaziergang entlang der meerseitigen Stadtmauer. Der Blick von da oben ist faszinierend, und macht – bei über 39 Grad – mit einem kühlen Getränk in der Hand besonders viel Freude.

Ganz aus der Nähe betrachten konnten wir in Vieste auch eine besondere Fischfangtechnik namens Trabucco. Dabei steht der Fischer mit beiden Beinen auf festem Boden und kann dennoch mehrere Netze auswerfen. Wir hatten davon noch nie gehört. Wie das funktionieren soll? So:

Derartige Konstruktionen findet man an vielen Stellen an der adriatischen Küste von Italien. Wir haben zum Beispiel weitere gesichtet auf der Höhe von Ravenna, etwa 500 Kilometer nördlich von Vieste. Heutzutage werden die Trabucci nicht selten von Fischrestaurants genutzt.

Sehr gelungen fanden wir auch eine Skulptur von Lorenzo Quinn, die sechs Händepaare darstellt (Hilfe, Hoffnung, Freundschaft, Glaube, Weisheit, Liebe); 6 Meter hoch, 5 Meter breit.

Trulli – die Zipfelmützenhäuser von Alberobello

Wenn man zum Beispiel von Bari oder Monopoli aus ins Valle d’Itria fährt, stößt man unweigerlich auf kleine Rundhäuser, zum Teil freistehend, manchmal integriert in größere Wohnkomplexe. Hier einige Beispiele von unserer Fahrt über Land:

Sie werden als Trulli bezeichnet. Von diesen runden bzw. konisch zulaufenden, weiß getünchten Bauten, die von kegelförmigen Dächern aus Bruchstein gekrönt werden, gibt es in dieser Gegend etwa 5.000 Exemplare.

Wer gerne mal für einen halben Tag in die Zauberwelt der putzig anmutenden Behausungen eintauchen möchte, begibt sich am besten nach Alberobello. Der etwa 12.000 Einwohner zählende Ort ist so eine Art Trulli-Epizentrum und daher ein sehr beliebtes Ziel von italienischen wie auch ausländischen Touristen in Apulien.

Die Trulli von Alberobello teilen sich im Wesentlichen auf zwei Viertel auf, die einander gegenüber liegen. Der Stadtteil Monti (ca. 1.000 Trulli) auf der einen Seite des Hangs ist stark geprägt von Läden und Gastronomiebetrieben. Wohltuend dabei ist, dass das Kaufangebot sich überwiegend auf handwerklich erstellte Waren bezieht (deswegen konnten wir auch bei gewebten Tischläufern und Trockentüchern nicht widerstehen). Es ist durchaus vergnüglich, mit Muße durch die Trulli-Gassen zu schlendern und hier und da zu verweilen. Aber: Hier kann auch mal drangvolle Enge entstehen, denn Monti erfreut sich großer Beliebtheit. Vor diesem Hintergrund empfiehlt es sich deshalb, vor zehn Uhr morgens einen der ausgewiesenen Parkplätze anzusteuern. Wir fanden an diesem Sonntag Mitte Juni übers Netz einen Parkplatz in einem Olivenhain, nur ein paar Schritte vom Zentrum entfernt, das Ganze für sechs Euro den Tag. Nicht schlecht … Da fühlte sich der erste Cappuccino mit Hörnchen zum Auftakt der Erkundungstour gleich mitfinanziert an. Wer übrigens mal eine Pause einlegen möchte, ohne sich in einem Restaurant oder Café niederzulassen, ist gut in einem Park nahe der Kirche Sant‘Antonio (auch sie in Trulli-Baustil) aufgehoben. Hier gibt es sogar Bänke mit Tisch, und ein Lebensmittelladen, der leckere Panini auf die Faust anbietet, ist gleich nebenan.

Viele Dächer sind oben mit einem Schlussstein versehen, manche sind mit religiösen, magischen Symbolen oder dergleichen bemalt.

Die Symbole sollen den bösen Blick abwenden, die Fruchtbarkeit erhalten … oder dienten der Wiedererkennung

Der zweite Stadtteil, den man sich unbedingt anschauen sollte, ist Aia Piccola (etwa 400 Trulli). Hier geht es bedeutend weniger geschäftig zu. Da Verkaufsläden und auch Bewirtungsangebote fast komplett fehlen, bewegt man sich mit viel mehr Muße durch die engen Gassen. Die Häuschen sind allesamt hübsch herausgeputzt und frisch gestrichen, so dass man zeitweilig vergisst, dass das ja früher Behausungen für arme Leute waren. Wenn man sich ein Trullo von innen anschaut, wird einem schnell wieder bewusst, dass sich hier vormals durchaus mal zehn Menschen in einem einzigen rechteckigen Raum mit kleinen Nischen zum Schlafen, Kochen und Waschen aufgehalten haben. Kleine Kinder schliefen im oberen Bereich auf einem Holzboden, der über eine Leiter zu erreichen war. Selbstverständlich musste auch der Esel noch ein Plätzchen finden. Glücklicherweise war in jenen Zeiten das Wort „Privatsphäre“ noch nicht erfunden … Den Aufbau eines typischen Trullo verdeutlicht dieses Modell:

Aia Piccola hat aus unserer Sicht bedeutend mehr Charme und wirkt „ursprünglicher“ als Monti. Natürlich soll man sich nicht darüber hinwegtäuschen, dass die Menschen hüben wie drüben Geld verdienen müssen. Im Viertel Monti liegt der kommerzielle Schwerpunkt in unserer Wahrnehmung in der Kurzzeitvermietung.

Da kann man schon ins Träumen kommen. Wer würde nicht gerne ein paar Nächte in einem dieser schmucken Häuser verbringen und vielleicht mal die besondere Atmosphäre in einem Trulli-Viertel bei Nacht erleben?

Ein anderes Erwerbsmodell praktiziert eine Familie, die ihr Haus für Besucher öffnet. Der Hausherr spricht sogar Deutsch, weil er in den 1960er-Jahren einmal bei Opel in Rüsselsheim gearbeitet hat. Mit großem Stolz präsentieren er und seine Frau nicht nur das Trulli-Innenleben, sondern auch die Fotogalerie mit bekannten Gesichtern aus der italienischen Glitzerwelt. Gegen eine Spende, versteht sich 😉.

Die Bambini schlafen oben …
Die Galerie der Schönen und Reichen, die diesen Trulli bereits besucht haben. Mit von der Partie ist der italienische Nationalspieler Marco Materazzi, der die französische Fußballlegende Zinédine Zidane 2006 in der Verlängerung des WM-Finales derart provozierte, dass dieser ihn mit einem Kopfstoß niederstreckte – die Italiener gewannen das Spiel.

Zu einer dauerhaft erfolgreichen Touristenattraktion gehört selbstverständlich eine gute Story. Bei den Trulli ist es die nicht vollends geklärte Entstehungsgeschichte. So soll der Bau von Trulli im 15. Jahrhundert im Itria-Tal dadurch einen besonderen Schub erfahren haben, dass man sie schneller ab- als aufbauen konnte. Kündigten sich die Steuereintreiber der Obrigkeit an, rissen die Menschen kurzerhand ihre Häuschen ein und die Steuereintreiber mussten mit leerer Steuerschatulle von dannen ziehen. Erst als Ferdinand IV. von Neapel Alberobello zur königlichen Stadt ernannte, gaben die Bewohner diese Bauweise auf und fingen an, Mörtel zu verwenden. Ganz schön schlau, oder?